Darum brauchen wir ein Mentoring!

Junge queere Menschen sind in Ausbildung und Beruf sehr häufig erheblicher Diskriminierung ausgesetzt. Das wissen wir nicht nur aus unserer Arbeit mit der Zielgruppe. Es ist auch wissenschaftlich belegt. Hier geben wir einen kurzen Überblick über die wichtigsten Fakten.

Diskriminierung im Bildungs- und Arbeitsbereich

Laut einer Studie des Deutschen Jugend Instituts (Krell et al 2015) erfahren queere Jugendliche noch immer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. 60,5% der befragten Jugendlichen rechnen mit Problemen in Bildungs-/Arbeitsstätten. Über die Hälfte erlebt dort tatsächlich Beschimpfungen, Beleidigungen etc. Das zeigt, dass die Jugendlichen Diskriminierungsrisken realistisch einschätzen. Allerdings differenziert die Studie nicht zwischen Schulen und Ausbildungsstätten/Arbeitsplätzen. Daher beziehen wir auch altersunabhängige Studien zur Situation queerer Menschen am Arbeitsplatz ein.

Coming-Out am Arbeitsplatz

Eine Erhebung der Boston Consulting Group (2018) ergab, dass viele queere Menschen aus Angst vor Diskriminierung ihre queere Identität verbergen. So geben z.B. rund 85 Prozent der queeren Arbeitnehmer*innen an, ihre sexuelle Orientierung auf der Arbeit mitteilen zu wollen, doch nur 37 Prozent taten dies auch. Trans* Menschen (44 %) outen sich im Berufsumfeld seltener als andere Gruppen (52 %).

Was zunächst als Privatsache erscheinen mag, gestaltet sich in der Praxis komplizierter, wenn Kolleg*innen fragen, wie man das Wochenende verbracht habe und z.B. ein schwuler Mann nicht unbefangen davon berichten kann, mit seinem Partner im Kino gewesen zu sein. Smalltalkübliche Fragen nach Urlaub, Wohnsituation, Kindern etc. machen, wenn das Arbeitsumfeld diskriminierend ist, Lügen unausweichlich, auch, um die berufliche Zukunft nicht zu gefährden.

Die Studie der BCG ist altersunspezifisch, doch Jugendliche lernen schnell, welche sozialen Codes in Unternehmen gelten. Mit ähnlichem Ergebnis noch differenzierter dazu geforscht hat Frohn et al (2017).

Einstellung der Bevölkerung

Dass die Befürchtungen der queeren Arbeitnehmer*innen berechtigt sind, zeigt eine Einstellungsstudie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2016), in der z.B. rund ein Drittel der Befragten angab, den Anblick eines gleichgeschlechtlichen Paares als unangenehm zu empfinden. Wenn offen geäußerte Feindschaft aufgrund sich wandelnder sozialer Normen weniger angemessen erscheint, wird die Ablehnung subtiler geäußert, indem etwa unterstellt wird, queere Menschen machten zu viel „Wirbel“ um sich oder kämen in den Medien zu häufig vor, wobei jedoch die Selbstverständlichkeit von Heterosexualität übersehen wird, die jede Erwähnung von Homosexualität zur Auffälligkeit macht.

Unsere Erfahrung aus der Beratungsarbeit

Im Rahmen unserer Beratungsarbeit und im von uns betriebenen Queeren Jugendzentrum berichten uns Jugendliche immer wieder von ihren Befürchtungen und Erfahrungen. Die Aussagen decken sich mit den Ergebnissen der Studien. Viele verlangsamen aus Angst vor trans*feindlichen Reaktionen entweder die berufliche Entwicklung (in der Hoffnung, die Transition schnell „durchzuziehen“), oder die Transition (in der Hoffnung, beruflich Fuß zu fassen, bevor sie sie selbst sein können). Sowohl eine Transition als auch eine Karriere brauchen Zeit und sind wesentlich für das eigene Wohlbefinden. Wird ein Aspekt „auf Eis gelegt“, wirkt sich das auf alle Lebensbereiche aus.

Studien

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2016): Einstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage, URL: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Umfragen/Handout_Themenjahrumfrage_2017.pdf%3F__blob%3DpublicationFile%26v%3D3 (Stand: 18.06.2020).

Boston Consulting Group (2018): Out @ Work Barometer. The Paradox of LGBT+ Talent, URL: https://media-publications.bcg.com/pdf/BCG-Out-Work-Barometer-Germany.pdf (Stand: 18.06.2020).

Frohn, D.; Meinhold, F.; Schmidt, C. (2017): Out im Office?! Sexuelle Identität und Geschlechtsidentität, (Anti-)Diskriminierung und Diversity am Arbeitsplatz, URL: https://www.dominicfrohn.de/downloads/IDA_Out-im-Office_Web_180811.pdf (Stand 18.06.2020).

Krell, C.; Oldemeier, K. (2015): Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen, URL: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf (Stand: 16.06.2020).